Das Mysterium der Zeit by Monaldi;Sorti

Das Mysterium der Zeit by Monaldi;Sorti

Autor:Monaldi;Sorti
Die sprache: de
Format: mobi
Tags: Belletristik/Historische Romane, Erzählungen
Herausgeber: Aufbau
veröffentlicht: 2012-04-09T05:40:42+00:00


Einige Minuten lang ging ich mit gesenktem Kopf voran, Stacheln und Dornen jeder Art zerkratzten mir das Gesicht, doch gleich einem scharfen Beil versuchten meine Augen, sich einen Weg durch das dichte Gestrüpp zu bahnen. Dann blickte ich hinter mich: Die Gruppe hatte mich sicher bereits aus den Augen verloren, so gut versteckte mich die undurchdringliche Pflanzenwand.

»Kemal!«, rief ich ein paar Mal, ohne Antwort zu erhalten.

Dann geschah es. Mein Fuß traf auf das Nichts, und unter mir öffnete sich der Abgrund. Der Kamm des hohen Kliffs endete hier, ich würde hinabstürzen. Mit dem kalten Instinkt eines Reptils griff ich hinter mich, und unverhofft wurden meine Finger fündig: Verzweifelt klammerte ich mich an einen gesegneten Zweig, der sich wie von einem rettenden Engel dargeboten direkt an meiner Seite befand. Aufgrund des jäh abgebremsten Schritts machte ich eine kleine Pirouette und fand mich mit beiden Händen an den Ast geklammert wieder, den Rücken zum Abgrund, die Augen gen Himmel gewandt. Mein Atem stockte und mein Herz raste wie ein toll gewordenes Vögelchen, das den Käfig des Brustkorbs durchstoßen und herausschießen wollte.

Ich schloss die Augen und versuchte mich wieder in die Gewalt zu bekommen. Nach einigen Sekunden fand ich den Mut, einen Blick in den Abgrund zu werfen, der mich fast verschlungen hätte.

Am Grund, tief unter dem Felsen, der mich hielt, brachen die Wellen sich an den Klippen, die vergebens meinen Aufprall erwartet hatten. Ich lebe noch, sagte ich mir, weil Gott es so wollte, und sandte ein stummes Dankgebet gen Himmel. Doch meine Erleichterung wurde sofort zunichte gemacht von dem, was sich am Fuß des hohen Kliffs unweit der Stelle zeigte, an der ich aufgeschlagen wäre, hätte ich nicht rechtzeitig den gesegneten Ast ergriffen.

Auf den von Wellen überspülten Felsen lag, die Beine im Wasser und die Brust auf den Steinen zerschellt, der leblose Körper des armen Mustafa.

Mir blieb fast keine Zeit, das entsetzliche Schauspiel zu gewahren, denn eine Stimme lenkte mich von dem Schrecken ab:

»Das wollte ich nicht, ich schwöre es.«

Wenige Schritte von mir entfernt, ebenfalls an einem Ast über dem Saum des Abgrunds hängend, blickte Kemal mich starr an. Seine Gesichtszüge waren zu einer archaischen Theatermaske verzerrt, etwas zwischen einem Ausdruck des Entsetzens und einem irren Lächeln.



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